Karl Mannheims Soziologie des politischen Wissens

Es kann festgestellt werden, dass die Eigentümlichkeit des politischen Wissens im Gegensatz zu den „exakten“ Wissenschaften aus der Untrennbarkeit … des Wissens von Interesse und Motivation entsteht.
– Karl Mannheim, Ideologie und Utopie (1955 , S. 190)

Der in Ungarn geborene Soziologe Karl Mannheim (1893-1947) gilt heute als Begründer der Wissenssoziologie und als einer der wichtigsten Theoretiker der frühen Soziologie. Nicht weniger verdient wäre es jedoch, dass er auch als Innovator in der politischen Theorie angesehen wird, wie ich es im Folgenden vorschlagen möchte. Freilich bestehen Mannheims Beiträge zur politischen Theorie nicht aus wegweisenden Analysen politischer Schlüsselbegriffe wie Gleichheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Macht und Partizipation. Seine diesbezüglichen Leistungen sind auf einer anderen, abstrakteren Ebene zu verorten: Sie ergeben sich in erster Linie aus seiner Erkenntnis, dass „es Denkweisen gibt, die nicht hinreichend verstanden werden können, solange ihre sozialen Ursprünge verschleiert sind“ (Mannheim 1955, S. 2). Wo Mannheims Beitrag zur Weiterentwicklung der politischen Theorie verortet werden kann, ist mit einem Wort genau das: seine Wissenssoziologie. Aber lassen Sie uns das genauer sagen. Worum geht es in der Mannheimer Wissenssoziologie und in welchem Verhältnis steht sie zur politischen Theorie? Was meint er eigentlich damit, dass bestimmte Denkweisen in Bezug auf ihre soziale Herkunft verstanden werden müssen, und warum und wie spielt das wirklich eine Rolle? Die Frage ist einen genaueren Blick wert.

Existentiell vernetztes Wissen

Die moderne westliche Gesellschaft zeichnet sich nach Mannheim dadurch aus, dass in ihr unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen um das Privileg ringen, die öffentliche Deutung der Wirklichkeit darlegen zu können (Mannheim 2011b, S. 404). Hinter jedem Wissensanspruch in den Sozialwissenschaften stecke also ein unbewusstes aktivistisches Element, das wiederum auf die Zugehörigkeit zu Gruppen verschiedener Art zurückführbar sei. In seinem Aufsatz „Wettbewerb als kulturelles Phänomen“, ursprünglich eine Ansprache an die Deutsche Soziologische Gesellschaft in Zürich im Jahr 1928, proklamierte Mannheim diesen Grundpunkt, wahrscheinlich so offen wie nie zuvor, wo er argumentierte:

Philosophie … kann diese Angelegenheit anders betrachten; aber aus der Sicht der Sozialwissenschaften, jedes historische, ideologische, soziologische Stück knowledge…is deutlich verwurzelt und getragen von dem Wunsch nach Macht und Anerkennung bestimmter sozialer Gruppen, die ihre Interpretation der Welt zur universellen machen wollen (Mannheim 2011b, S. 404-405).

Mannheim nennt dieses an die Gruppenmitgliedschaft gebundene Wissen ‚Seinsverbundenes Wissen‘. Zu dieser Wissenskategorie gehörten, wie bereits durch das obige Zitat angedeutet, historisches Denken, politisches Denken sowie soziales und humanistisches Denken (Mannheim 2011b, S. 401). (Mannheim befreite bekanntlich die sogenannten exakten Wissenschaften von dieser Regel, immer von gesellschaftspolitischen Bedingungen beeinflusst zu werden. Eine der Konsequenzen einer solchen fundamentalen sozialen Konditionierung von Wissen war für ihn, dass es kein neutrales Wissen über Geschichte oder Gesellschaft geben kann, kein Wissen, das von allen Gruppen unterstützt werden kann. Im Gegenteil, letztere werden sich für immer gegenüberstehen, wenn es um Fragen der Interpretation von Gesellschaft und Geschichte geht. Mit anderen Worten, bei der Lösung solcher Probleme werden Welten immer gegen Welten kämpfen, wie Mannheim mit einer dramatischen Note abschloss (Mannheim 1986, S. 55).

Politische Denkstile

Ein weiteres zentrales Konzept der Mannheimer Wissenssoziologie ist der Denkstil. Mannheim hat diesen Begriff seiner Philosophie in seinen Schriften zur Wissenssoziologie nie explizit definiert. Eine Möglichkeit, dies zu formulieren, lässt sich jedoch aus seinen Texten ableiten: Ein Gedankenstil ist eine sozial konstruierte Argumentationsordnung, die auf eine bestimmte soziale Gruppe und deren Bestreben, die öffentliche Interpretation der Realität zu beeinflussen, zurückzuführen ist. Der Begriff des Denkstils ist nicht zuletzt zentral für die Erklärung, warum Gruppen in politisch beladenen Fragen selten zu einem Konsens gelangen: Unterschiedliche Denkstile gehen von radikal unterschiedlichen Prämissen und Annahmen aus (Mannheim 1955, S. 147). Hinter dem allgemeinen Begriff des ‚Denkens‘ findet man in der Tat mehrere verschiedene Denkweisen, von denen jede von ihrem eigenen Ausgangspunkt aus an die Realität herangeht; Jeder Denkstil organisiert die Wahrnehmung der Realität auf unterschiedliche Weise. In seinem Essay über Konservatismus aus dem Jahr 1925 (Mannheim 1986) veranschaulicht Mannheim diese Heterogenität des politischen Denkens, indem er zeigt, wie „konservative“, „liberale“ und „sozialistische“ Denkstile an die Frage der politischen Legitimität herangehen.

Der von den Konservativen favorisierte Gedankengang, so Mannheim, stellt das Problem der Legitimität auf die Ebene der mythischen Transzendenz. Das Argument von „göttlichem Recht“ zum Beispiel schöpfte aus einem grundlegenden Ideenvorrat, auf den sich die konservative Denkweise stützte. Mit dem abnehmenden Einfluss der Religion wurde Gott jedoch schließlich durch Tradition, Nation und Geschichte ersetzt. In neuerer Zeit war es in erster Linie die Geschichte, die die Rechtfertigung dafür lieferte, dass beispielsweise eine bestimmte Regel oder Regierungsform an die Stelle der göttlichen Transzendenz trat. Im liberal-aufklärerischen Denkstil hingegen wird die gleiche Frage auf juristischer Ebene gestellt. Die politische Legitimität wird dann durch Bezugnahme auf rein theoretische Konstrukte wie den Gesellschaftsvertrag gerechtfertigt. Mannheims Sozialisten hingegen definierten Probleme in erster Linie auf der Ebene der Ökonomie und des globalen Kapitals und wiesen sowohl Liberalismus als auch Konservatismus als ideologische Konstrukte ab (Mannheim 1986, S. 56-57). Mannheims Hauptpunkt dabei ist jedoch, dass unterschiedliche Denkstile nicht nur unterschiedliche Antworten auf inhaltliche politische Fragen liefern: jeder Gedankenstil spezifiziert auch einen bestimmten Bereich der Realität als präskriptiv für gültiges Denken. Alle Denkstile gehen von ihren eigenen Prämissen aus: Der konservative Denkstil orientiert sich an Gott und der Tradition als Ausgangspunkt des Denkens, der liberale Denkstil geht vom Recht, insbesondere vom Naturrecht, aus und im sozialistischen Denkstil bildet eine materialistische Geschichtstheorie die Grundlage für ein richtiges Gesellschaftsverständnis (Mannheim 1986, S. 56-57).

Hier ist jedoch zu beachten, dass der Wunsch, die öffentliche Interpretation der Realität zu beeinflussen, nicht nur in der Artikulation eines materiellen Gruppeninteresses besteht. Natürlich kann eine Gruppe bestimmte Wirtschaftstheorien oder bestimmte politische Ideen bekennen, nur weil diese den Interessen der Gruppe entsprechen. Dennoch ist es, wie Mannheim uns in Erinnerung ruft, viel schwieriger, gruppenspezifische ästhetische Präferenzen aus derselben Perspektive zu erklären. Phänomene wie Mode oder eine allgemeine ästhetische Präferenz sind ebenso wie politische Ideologien von bestimmten Gruppen als Ergebnis sozialhistorischer Faktoren entwickelt worden, lassen sich aber nur schwer nur mit direkten Gruppeninteressen erklären (Mannheim 2011a, S. 236). Es erscheint daher vernünftig, zwischen zwei verschiedenen Aspekten des Gruppenwettbewerbs in der modernen Gesellschaft zu unterscheiden: einem wirtschaftspolitischen und einem allgemeinen kulturellen Wettbewerb (vgl. Longhurst 1989, S. 51-52). Im letzteren Fall ist es angemessener, von Wünschen oder Wünschen als von materiellen Interessen zu sprechen. Der allgemeine kulturelle Aspekt der Mannheimer Wissenssoziologie weist, wie Dahl (1994) zu Recht feststellte, eine klare existenzielle Dimension auf. In einer wichtigen Passage seines Konservatismus macht Mannheim darauf aufmerksam, dass Konservative, Liberale und Arbeiter nicht allein nach der Befriedigung ihrer Interessen streben: Sie wollen auch in einer Welt leben, in der sie sich zu Hause fühlen (Mannheim 1986, S. 55; vgl. Dahl 1994, S. 117). Mit anderen Worten, sie versuchen, eine Welt zu schaffen, die für sie selbstverständlich ist und in der ihr sozialisiertes Wesen bestätigt wird.

Der liberal-aufklärerische Denkstil

Die Mannheimer Wissenssoziologie zielte auf einen spezifischen theoretischen Feind ab: die Idee der Existenz einer universellen und ahistorischen Vernunft, an der alle Menschen teilhaben und durch die wir zu bestimmten und objektiven Wahrheiten über Geschichte und Gesellschaft gelangen können. Diese Art des Denkens, Mannheim gehalten, war typisch für den liberalen Denkstil Dating zurück in die Zeit der Aufklärung. Ein charakteristisches Merkmal dieser Denkweise war für ihn die explizite Ablehnung der Vorstellung, dass Wissen existentiell verbunden und damit als Konstrukt untrennbar mit den gesellschaftspolitischen Bestrebungen der verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft verbunden ist. Da das liberale Denken von Anfang an für einen grundlegenden Unterschied zwischen Denken und der Bewertung des Denkens plädierte, haben die in dieser Tradition Tätigen das Postulat des existenziell verbundenen Wissens immer abgelehnt (Mannheim 1955, S. 122; Mannheim 2011b, S. 425). Karl Poppers Kritik der Mannheimer Wissenssoziologie im zweiten Band von Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde bietet ein Beispiel für dieses Beharren. Was die Denker in der liberalen Tradition standhaft gehalten hatten, war in Mannheims Analyse die Vorstellung, dass Denken und Gültigkeit zu zwei verschiedenen logischen Sphären gehörten. Die Entwicklungen in der modernen Gesellschaft hätten dieses Denken jedoch bereits überholt, so Mannheim. Wir können nicht länger die Augen vor der Existenz mehrerer rivalisierender Gruppen in der Gesellschaft verschließen, Gruppen, die sich der sozialen Realität aus radikal unterschiedlichen Blickwinkeln nähern und sie betrachten. Niemand, der sich heute nicht von den Begriffen Rationalität und Wahrheit zurückziehen will, kann heute nur die Welt abwinken und die Illusion aufrechterhalten, dass diese beiden von gesellschaftspolitischen Bestrebungen unberührt bleiben. Die Möglichkeit, sozialen Einfluss auf das Denken auszuüben, bietet sich darüber hinaus nur denjenigen an, die es als Tatsache akzeptieren, dass Wissen existenziell verbunden ist. Wie Mannheim selbst erklärte:

Es ist natürlich möglich, dieser Situation zu entkommen, in der die Pluralität der Denkstile sichtbar geworden ist und die Existenz kollektiv-unbewusster Motivationen erkannt wird, indem wir diese Prozesse einfach vor uns selbst verbergen. Man kann in eine überzeitliche Logik flüchten und behaupten, dass die Wahrheit als solche unbefleckt ist und weder eine Vielzahl von Formen noch irgendwelche Verbindungen zu unbewussten Motivationen hat. Aber in einer Welt, in der das Problem nicht nur ein interessantes Diskussionsthema ist, sondern eine innere Ratlosigkeit, wird bald jemand auftauchen, der gegen diese Ansicht bestehen wird: „Unser Problem ist nicht die Wahrheit als solche; Es ist unser Denken, wie wir es in seiner Verwurzelung in der Tat in der sozialen Situation finden, in unbewussten Motivationen. Zeigen Sie uns, wie wir von unseren konkreten Wahrnehmungen zu Ihren absoluten Definitionen gelangen können. Sprechen Sie nicht von der Wahrheit als solcher, sondern zeigen Sie uns, wie unsere Aussagen, die aus unserer sozialen Existenz stammen, in eine Sphäre übersetzt werden können, in der die Parteilichkeit, die Fragmentarität des menschlichen Sehens überwunden werden kann, in der der soziale Ursprung und die Dominanz des Unbewussten im Denken zu kontrollierten Beobachtungen und nicht zu Chaos führen“. (Mannheim 1955, S. 42)

Es sollte aus dem Ton dieser Passage ersichtlich sein, dass Mannheim diese Probleme in den dringendsten Begriffen sah. Die Polarisierung von Denkstilen und -gruppen in der modernen Industriegesellschaft war für ihn so weitreichend, dass sie eine rationale Kommunikation zwischen sozialen Gruppen unmöglich zu machen drohte. Das ultimative Risiko, mit dem man damals konfrontiert war, bestand darin, dass sich die moderne Gesellschaft in ein blutiges Schlachtfeld verwandelte. Max Weber unterschied in seinem bekannten Text „Wissenschaft als Berufung“ zwischen dem Politiker einerseits und dem akademischen Lehrer und Forscher andererseits. Im Gegensatz zu den Worten des Lehrers und Forschers waren die Worte des Politikers „keine Pflugscharen, um den Boden des kontemplativen Denkens zu lockern; Sie sind Schwerter gegen die Feinde: Solche Worte sind Waffen“ (Weber 2009, S. 145). Mannheim war nicht so anfällig wie Weber, eine so scharfe Unterscheidung zwischen dem Forscher und dem Politiker zu treffen. Für ihn waren auch die Worte des Forschers Waffen, um politische Gegner zu überwältigen und zu unterwerfen.

Gerade in diesem Zusammenhang glaubte Mannheim jedoch seiner Wissenssoziologie eine wichtige Rolle zukommen zu lassen. In der Tat, wie vorgeschlagen, könnte es sogar helfen, die Schwerter zu Pflugscharen zu schlagen (vgl. Kettler, Meja, Stehr 1984, S. 54). Hier spielte Mannheim mit der Idee einer wissenssoziologischen Synthese, die die verschiedenen Denkstile zusammenführen und eine Gesamtperspektive auf die Gesellschaft ermöglichen könnte. Dank ihrer unterschiedlichen Hintergründe würde jede Gruppe in diesem Szenario ihre besonderen Erkenntnisse zur Synthese beitragen. Diese Idee einer großen Synthese war dann Mannheims Versuch, die Konzepte von Objektivität und Gültigkeit wiederherzustellen, von denen er (wie im obigen Zitat) glaubte, dass sie mit der Entstehung der modernen Gesellschaft verloren gegangen waren. Anstatt zu versuchen, die Vernunft zu diskreditieren, was Popper ihm vorwarf, versuchte Mannheim daher, die Vernunft auf soziologischen Prämissen zu rekonstruieren. Wenn eine solche Rekonstruktion jedoch nicht möglich wäre, wäre für ihn auch keine objektive Wissenschaft des Politischen möglich (Mannheim 1955, S. 149). Mannheims Gedanken in diesem Bereich sind jedoch mit großen Schwierigkeiten behaftet und hier wahrscheinlich keine weitere Diskussion wert. Was nützlicher erscheint, stattdessen, ist zu überlegen, wie Mannheims Gedankenstile heute produktiv eingesetzt werden könnten.

Der linksradikale Denkstil

Wie Mannheim betonte, sind Denkstile nicht statisch, sondern entwickeln sich ständig in einem Konkurrenzverhältnis zueinander. Mannheim zum Beispiel identifizierte seinen „sozialistischen“ Denkstil in mehrfacher Hinsicht als eine Mischung aus liberalem und konservativem Denkstil (Mannheim 1986, S. 63-70). Da sich die Denkstile ständig ändern, ist es nicht verwunderlich, dass die Denkstile, die man heute im akademischen und politischen Diskurs findet, etwas anders aussehen als die, die Mannheim selbst analysiert hat. Ein Gedankenstil, der sich in den heutigen Sozialwissenschaften bemerkbar macht, ist das, was man als „linksradikal“ bezeichnen könnte. Dieser Stil zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass soziales Phänomen nur strukturell interpretiert werden sollte. In einigen akademischen Disziplinen ist es fast zu einem Axiom geworden, dass soziale Phänomene eher strukturell als individuell zu erklären sind. Ein weiteres Merkmal dieses Denkstils ist die Vorstellung, dass bestimmte soziale Phänomene und Institutionen nur gefördert wurden, um bestimmte Gruppen („weiße Männer mittleren Alters“) zu bevorzugen oder andere (Frauen, Menschen mit LGBTQ-Sexualität) zu marginalisieren und zu unterdrücken, Einwanderer usw.). Darüber hinaus weisen Anhänger des linksradikalen Denkstils Kritik an ihm oft empört als etwas zurück, das lediglich die Perspektive der dominanten oder privilegierten Gruppen fördert. Das Problem mit diesen letzteren, so wird dann behauptet, besteht darin, dass sie sich weigern oder auf andere Weise nicht in der Lage sind, ihre privilegierte Situation anzuerkennen, die durch die getroffenen Perspektiven vorangebracht wurde.

Freund oder Feind?

Wenn Sie, die Sie diesen Artikel lesen, sich als „linker Flügel“ oder als Sympathisant von Positionen betrachten, die durch diese, meine zugegebenermaßen ziemlich unbeholfene Bezeichnung vertreten werden, könnten Sie sich inzwischen fragen, ob das, was ich über einen Mannheimer linksradikalen Denkstil gesagt habe, tatsächlich nur ein dünn getarnter Angriff von rechts sein könnte, anstatt ein aufrichtiger Versuch einer leidenschaftslosen Analyse. Vielleicht fragen Sie sich, ob meine Worte Schwerter oder Pflugscharen sind, oder ob ich Politiker oder Forscher bin; Gibt es tatsächlich eine versteckte Agenda in dem, was ich sage? Wenn Sie andererseits das liberale oder konservative Glaubensbekenntnis annehmen, finden Sie vielleicht im Gegenteil Befriedigung und Zufriedenheit darin, dass eine Denkweise, die Sie als vulgär und abstoßend empfinden, auf diese Weise einer Analyse unterzogen und dadurch unweigerlich ihrer Stärke beraubt wird. Wie dem auch sei, was Sie dennoch auf jeden Fall tun müssen, ist zuzugeben, dass Mannheim Recht hat, wenn es behauptet, das Denken in den Sozialwissenschaften sei existenziell verbunden, und damit anzuerkennen, dass wir oder zumindest diejenigen von uns, die akademisch ausgebildet sind, wenn wir auf Wissensansprüche stoßen, spontan aus politischen Standpunkten und Positionen darauf reagieren. „Wann immer ein solcher Begriff in einem wissenschaftlichen Text gefunden wird, wird er nicht logisch untersucht, sondern macht sich sofort entweder Feinde oder Freunde“, wie Ludwik Fleck es treffend ausdrückte (Fleck 1979, S. 43). Damit wird Ihre Reaktion darüber hinaus ein weiteres Zeugnis für die fortdauernde Relevanz der Soziologie des politischen Wissens Mannheims liefern.

Henrik Lundberg ist Assistenzprofessor für Soziologie an der Universität Göteborg, Schweden. Zu seinen jüngsten internationalen Veröffentlichungen gehören „Philosophical Thought and Its Existential Basis: The Sociologies of Philosophy of Randall Collins and Pierre Bourdieu“ (2013) und „‚Science of Science‘, Reason, and Truth: Bourdieu’s Failed Case against Cognitive Relativism“ (2012).

Dahl, Göran (1994). „Dokumentarische Bedeutung – Verständnis oder Kritik? Karl Mannheims frühe Wissenssoziologie.“ Philosophie und Gesellschaftskritik 20: 1-2.

Fleck, Ludwik (1979 ). Ursprung und Entstehung einer wissenschaftlichen Tatsache. Chicago und London: University of Chicago Press.

Kettler, David, Volker Meja und Nico Stehr (1984). Karl Mannheim. Chichester: Ellis Horwood.

Longhurst, Brian (1989). Karl Mannheim und die zeitgenössische Wissenssoziologie. London: Macmillian.

Mannheim, Karl (1955 ). Ideologie und Utopie: Eine Einführung in die Wissenssoziologie. San Diego und New York: Harcourt.

Mannheim, Karl (1986 ). Konservatismus. London und New York: Routledge & Kegan Paul.

Mannheim, Karl (2011a). „Das Problem einer Wissenssoziologie“, in Kurt H. Wolff (Hrsg.), Aus Karl Mannheim, S. 187-243. New Brunswick und London: Transaction Publishers.

Mannheim, Karl (2011b ). „Wettbewerb als kulturelles Phänomen“, in Kurt H. Wolff (Hrsg.), Aus Karl Mannheim, S. 399-437. New Brunswick und London: Transaction Publishers.

Weber, Max (2009 ). „Wissenschaft als Berufung“, in H.H. Gerth und C. Wright Mills (Hrsg.), Von Max Weber: Essays in der Soziologie, S. 129-156. London und New York: Routledge.

Laut Mannheim beeinflussen in der modernen Gesellschaft verschiedene Arten der Gruppenmitgliedschaft das intellektuelle Denken. Zu den Gruppen, denen wir auf die eine oder andere Weise angehören, gehören Generationen, Statusgruppen, Sekten, Berufsgruppen, Schulen und dergleichen. Letztendlich ist es jedoch die Klassenschichtung, die aus der Sicht der Wissenssoziologie zu unserer bedeutendsten Gruppenzugehörigkeit führt. Alle anderen Gruppen ergeben sich aus den Herrschafts- und Produktionsbedingungen in der Gesellschaft und verwandeln sich mit diesen Bedingungen (Mannheim 1955, S. 276).

Dies ist die englischsprachige Übersetzung, die Mannheim selbst für seine Amtszeit genehmigt hat.

Zwischen diesen beiden Sphären zu verwechseln, argumentieren Denker in der liberal-aufklärerischen Tradition, bedeutet, den sogenannten genetischen Irrtum zu begehen. Nach Mannheim gibt es jedoch keinen solchen Trugschluss in Bezug auf existentiell verbundenes Wissen (z.B. Mannheim 1986, S. 24-25).

Weiterführende Literatur zu E-Internationale Beziehungen

  • Ständige Krise und politischer Byzantinismus
  • Einführung subalterner Staaten
  • Dekolonisierung des Anthropozäns: Die Mytho-Politik der menschlichen Meisterschaft
  • Wenig wissen sie. Wie (nicht) Religion und internationale Beziehungen theoretisiert werden
  • Re-Worlding China: Notorious Tianxia, Critical Relationality
  • Internationale politische Soziologie Beiträge zu internationalen Beziehungen

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